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Frühjahr 2022
Einmal mehr bin ich in
diesen Tagen mit einer Realität
konfrontiert worden, die von meinen eigenen Erfahrungen weit entfernt
ist. Ich
erfuhr etwas von den Lebensumständen einer Schülerin,
die mich fassungslos
machten. Zwar ist diese wohl jetzt gut behütet, trägt
aber, wie mir erzählt
worden ist, dennoch schwer an dem erfahrenen Leid. Es ist mir schon
immer
bewusst, dass wir ja zumeist sehr wenig über das
häusliche Leben unserer
Schüler wissen und nur den kleinen schulischen Ausschnitt
kennen, der ja aber mitunter
von Jahren der Vernachlässigung, Überforderung und
seelischen Verletzungen
geprägt sein kann. Ich bin mir ganz sicher, wenn wir Lehrer
mehr über die
Bedingungen, unter denen unsere Schüler aufwachsen,
wüssten, wir würden in
manchen Fällen anderes reagieren und vielleicht auch anders
entscheiden. Doch
oftmals wissen wir es einfach nicht, ahnen vielleicht manches,
können aber oft nur
sehr begrenzt etwas in Erfahrung bringen.
Seit ich Lehrer bin,
beschäftigt mich dieses Thema immer
wieder. Wahrscheinlich habe ich deshalb vor Jahren einmal zur Feder
gegriffen
und mir meine Hilflosigkeit und Trauer von der Seele geschrieben. Das
Lied
heißt „Mein Herr und mein
Gott“ und
ist auf meiner letzten CD „Vom
Geheimnis
dieser Welt“ zu hören. Es ist im Stile
eines Psalms verfasst, da es Gott zum
einen klagt, aber ihn zum anderen unmittelbar aufruft einzugreifen.
Hier die
erste Strophe:
Mein Herr und mein Gott, ich rufe zu dir,
neige dein Ohr mir zu!
Du weißt ja, es drückt im Leben
hier
mich manches Mal der Schuh.
Gesegnet reich von Kindheit an
hast du durch meine Eltern mich,
weiß wohl, für dies
Glück ich selbst nichts kann,
Liebe verschenkte sich.
Das schuldet echte Dankbarkeit,
den Eltern und auch dir,
und mit den Jahren mit der Zeit,
ahnt’ ich den Wert auf Erden hier.
Auch wenn ich schon immer wusste, dass es Kinder
gibt, die unter ganz
anderen Umständen aufwachsen mussten, als ich es tat, so war
es sicherlich die
konkrete Erfahrung mit dem Schicksal mancher meiner Schüler,
die mir noch mehr
zu Bewusstsein gebracht hat, welches Geschenk ich von meinen Eltern
erhalten
habe, in Liebe aufwachsen zu dürfen. Und ja, dann gab es einen
Tag an dem ich
Ihnen diesen Dank ganz ausdrücklich gesagt habe.
Gleichzeitig baute sich für mich aber
immer auch die Frage auf, warum ich
dieses Glück erleben durfte und es anderen so
gänzlich versagt bleibt?
Und mehr noch, wie denn ein zukünftiges
Leben gelingen soll, wenn doch der
Start schon verfehlt ist? Oder anderes gefragt, was will Gott denn von
einem
solchen Leben noch erwarten?
Doch was mich drängt und mich
bedrückt
ist Leid, das dadurch entsteht,
dass, was mich damals als Kind beglückt,
so vielen Menschen entgeht.
Wie vielen Kindern begegnete ich
deren Kindheit mich oftmals entsetzt,
deren Leben einem einzigen Drama glich,
deren Seelen aufs Tiefste
verletzt.
Wie kann Leben gelingen, wenn der Start schon
verfehlt,
und die Weichen nicht richtig gestellt,
die Sehnsucht nach Liebe unendlich quält,
wird man dann nicht um Zukunft geprellt?
Ich weiß wohl, dass es viele Beispiele
gibt, dass Leben gelingen kann,
trotz in der Kindheit falsch gestellter Weichen. Mag sein, es gibt
sogar mehr
positive Beispiele, als Lebensgeschichten, die das Drama der Kindheit
fortsetzen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass
die Sehnsucht nach Liebe,
wird diese nie erfahren, ein Leben lang quälen wird. Und so
wie ein Baum, um zu
gedeihen, gute Erde, genügend Wasser und Licht braucht, so
eben das Kind
Geborgenheit, Zärtlichkeit und Fürsorge. Eines Tages behandelte ich im
Unterricht einmal wieder die
Gleichnisse Jesu. Und „natürlich“ blieb
ich am Gleichnis vom Feigenbaum (Lk
13,6-9) hängen, und die Frage stand klar vor meinen Augen, wie
Gott denn nach
Früchten sehen könne, wenn Menschen doch nicht unter
gleichen Bedingungen
aufwachsen?
Mein Herr und mein Gott, ist nicht jeder ein Baum,
gepflanzt auf verschiedenem Grund.
Manche finden zum Leben das Nötigste kaum,
andre gedeihen, seit der ersten Stund’
Und kommst du dereinst, um Früchte zu sehn,
so bitt ich dich, denke daran,
dass manche auf schlechterem Grunde
steh’n,
auf denen kaum Frucht wachsen kann.
Sei gnädig mein Gott, oder besser noch:
Berühre ganz sachte ihr Herz!
So spüren sie endlich, es gibt Liebe doch
Und die deine besiegt jeden Schmerz!
Ja, ich bin fest davon überzeugt, dass der
christliche Gott ein gnädiger Gott
ist, der um die Umstände jedes Einzelnen weiß und
uns nicht nur an unseren
Früchten messen wird. Und doch würde ich mir
wünschen, dass er all diese nach
Liebe dürstenden Menschen im Innersten mit seiner Liebe
berührt, sodass Heilung
stattfinden kann und Gottes reicher Segen auf zukünftigen
Tagen liegt.
Mit herzlichem Gruß
Stefan Jakob